„Wie das Herrchen, so der Hund“, sagt man oft, wenn Zwei- und Vierbeiner sich auf lustige Weise irgendwie ähnlich sehen – aber noch genauer trifft dieser Satz auf emotionaler Ebene zu.
Pudeldame Inga hat die gleichen hübschen Naturlocken wie ihre Halterin Karin. Sogar die Farbe stimmt. Außerdem sind beide schlank und haben wohlgestaltete, lange Beine. Oft hat Karin den Satz gehört: „Wie das Frauchen, so der Hund.“
„Ich finde das sehr lustig, aber viel entscheidender ist, dass Inga auf eine viel wichtigere Weise ähnlich ist – nämlich seelisch. Unser Start war nicht einfach. Inga war nämlich noch nie ein einfacher Hund. Sie kann unheimlich stur und sehr zickig sein und das auch dann, wenn es dafür scheinbar eigentlich keinen Anlass gibt. Aber genau so bin ich auch. Ich bin ein schwieriger Mensch, dessen Handlungen für Andere nicht immer Sinn ergeben. Oft mache ich mir damit selber das Leben furchtbar schwer, aber ich kann manchmal einfach nicht aus meiner Haut
heraus. Besonders schlimm ist es dann, wenn es mir nicht gut geht oder ich sogar Angst habe. Dann werde ich unausstehlich. Als ich das erste Mal vor Inga stand, war sie eine von drei Pudeln, die die Vorbesitzerin aus sehr traurigen Umständen heraus abgeben musste. Die anderen Beiden kamen zu mir und begrüßten mich freundlich – nur Inga blieb auf Abstand und knurrte sogar leise, obwohl es ja eigentlich wichtig gewesen wäre, einen guten Eindruck zu machen. Mir war sofort klar, wie es in ihr aussah, und ich spürte auf der Stelle diese Verbindung zu ihr. Ich kannte die Ablehnung der Umwelt aufgrund der Missverständnisse durch mein Verhalten – und ein Blick in Ingas Augen genügte, um zu sehen, dass sie eigentlich auch kommen und schmusen wollte – aber es ging nicht.
Die Vorbesitzerin war fassungslos und hat vor Freude geweint, als ich ihr sagte, dass ich mich für Inga entschieden hatte. Sie hatte befürchtet, für ihr „Sorgenkind“ kein neues, gutes Zuhause zu finden. Dass ausgerechnet sie nun als erste untergebracht war, war eine riesige Erleichterung für sie. Die ersten Tage mit Inga zuhause waren, gelinde gesagt, eine Katastrophe. Sie hatte keinen Grundgehorsam erlernt, war sehr schreckhaft und durch die fremde Umgebung sehr unsicher – und dadurch oft aggressiv. Aber ich erkannte die Wahrheit hinter der angsteinjagenden Fassade und wusste, dass ich dem Spiegelbild meiner Seele ins Gesicht schaute, wenn ich sie ansah.
Schon nach kurzer Zeit merkte ich, wie richtig ich damit lag. Um mein chaotisches Inneres im Griff zu haben, benötige ich Ordnung und Regeln um mich herum. Ich verlangte Inga konsequent meine „Hausregeln“ ab, die besagten, dass sie zum Beispiel nicht aufs Sofa durfte und dass mein Schlafzimmer für sie tabu ist, aber dafür gab es auch Plätze, an denen ich sie komplett in Ruhe ließ, wie die Decke im Wohnzimmer oder in ihrem Korb. Wenn eine von uns Ruhe vor der anderen haben wollte, dann zog sie sich in ihren Bereich zurück.
Ich drängte sie zu nichts, machte aber trotzdem klar, dass ich im Haus das Sagen hatte – und sie akzeptierte das, ordnete sich mir unter und wurde dadurch automatisch entspannter. Dadurch setzte sich ein wunderbarer Kreislauf in Gang. Ich konnte für sie der Halt sein, den sie brauchte, um Ruhe zu finden. Sie konnte die Verantwortung für ihr Dasein in meine Hand geben. Sie erkannte, dass ich Essen besorgte, ihr ein Zuhause gab und dafür sorgte, dass sie Bewegung und Zuneigung und gleichzeitig die Leitung bekam, die sie brauchte. All ihre Grundbedürfnisse waren erfüllt, und sie konnte sich seelisch in dieser sorgenfreien Umgebung zurücklehnen.
Im Gegenzug gab sie mir genauso die Stabilität, nach der ich mich gesehnt hatte. Ihr Leitwolf zu sein, echte Verantwortung zu tragen, zu sehen, wie gut es ihr geht, wenn ich sie führe und der Stolz darüber, dass ich das überhaupt konnte, nahm mir viel von meiner Unsicherheit. Ich wurde selbstbewusster, und irgendwann fiel meinem Umfeld auf, dass ich auch nicht mehr so „zickig“ war wie früher. Das heißt allerdings nicht, dass Inga und ich nun überhaupt nicht mehr zicken würden – wir tun es nach wie vor beide, wir sind halt so – aber zum einen weniger und zum anderen eigentlich nie miteinander.
Wir sind beide unsicher und ängstlich gewesen und haben deshalb unsere Umwelt „gebissen“ und „angeknurrt“. Dass wir nun Beide eine feste Rolle im Leben der Anderen haben, dass jeder seine konkreten Aufgaben hat, gibt uns die innere Ruhe, die wir gebraucht haben. Inga ist inzwischen übrigens, nach viel Training, ein Muster an Gehorsam, und als wir vor wenigen Wochen ihre Vorbesitzerin im Pflegeheim besucht haben, war diese restlos aus dem Häuschen vor Begeisterung.
Wenn ich heute mal einen Hänger habe und es mir schlecht geht, dann spürt Inga das und kommt zu mir, stupst mich an und knuddelt sich geradezu in mich hinein. Dann blicke ich in ihre Augen und sehe darin mich selbst, als ob meine Seele in einen Spiegel schauen würde. Und dann weiß ich, wie wichtig ich für sie bin, und ich denke, dass sie auch weiß, wie wichtig sie für mich ist, und zu wissen, dass da dieses Band zwischen uns ist, das nur wir beide sehen, fühlen und verstehen können, gibt mir genug Kraft, um mich selbst an den Haaren wieder aus dem Tief herauszuziehen und Berge zu versetzen.“ Karin ist nur eine von zahllosen Hundebesitzerinnen/-besitzern, die davon erzählen, dass sie den Eindruck haben, dass ihr Hund ihnen direkt bis in die Seele sehen kann. Hunde reagieren zweifellos auf emotionale Zustände ihrer Zweibeiner. Sie „trösten“ und „kümmern sich“, wenn es ihrem Menschen nicht gut geht. Aber sie sind auch gemeinsam mit ihrem Halter durchgedreht fröhlich oder restlos entspannt. Wie sehr der Hund die emotionalen Zustände seines Halters spiegelt, hängt unter anderem davon ab, wie sehr er ihn als Leit-Tier akzeptiert. Aber sehr viele Hunde sind so empfindsam, dass sie zum Beispiel auch einen ihnen fremden, weinenden Menschen „trösten“ würden.
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