Dr. vet. Andrea Held erklärt, welche Gründe für oder gegen einen Rüden oder eine Hündin sprechen.
Wenn man sich einen Hund holen möchte, steht man früher oder später natürlich auch vor der Frage, ob man eine Hündin oder lieber einen Rüden haben möchte. Es gibt viele verschiedene Gründe, weswegen man sich schlussendlich für ein Geschlecht entscheidet. Jedes Geschlecht bringt seine Vorzüge mit. Man muss gucken was am Besten zu einem passt. Hat man zum Beispiel bereits einen oder mehrere unkastrierte Rüden im Haus, so sollte man sich vorab Gedanken machen, was auf einen zukommt wenn man eine intakte (unkastrierte) Hündin dazu holt. Medizinisch betrachtet gibt es tatsächlich auch einige Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was mögliche Behandlungen und auch ihre Kosten angeht.
Ein erstes Beispiel hierzu ist die Kastration. Beim Rüden wird in einer kurzen Narkose ein kleiner Schnitt gemacht, aus dem beide Hoden nacheinander herausgenommen und entfernt werden. Es ist ein schneller Eingriff, der mit relativ geringgradigen Risiken einhergeht. Eine OP-Assistenz wird in der Regel nicht benötigt. Die Kastration der Hündin ist da schon deutlich aufwendiger. Da die Eierstöcke und auch die Gebärmutter in der Bauchhöhle der Hündin liegen, muss die Bauchdecke eröffnet werden. Ein deutlich größerer und auch tieferer Schnitt ist hierfür notwendig. Und beim Entnehmen der Keimdrüsen muss extrem darauf geachtet werden, dass sämtliche Blutgefäße vernünftig abgebunden werden, damit es zu keinerlei Blutungen kommen kann. Zudem muss der Tierarzt beim Abbinden sehr vorsichtig sein und darauf achten, nicht versehentlich ein Stück vom Darm oder die Harnleiter abzubinden. Diese liegen in unmittelbarer Nähe zu den Keimdrüsen. Zudem macht dieser Eingriff auch eine OP-Assistenz erforderlich. Aus diesem Grund wird ersichtlich, dass die Kosten für die Kastration einer Hündin berechtigterweise höher sind als für einen Rüden.
Viele Besitzer von Hündinnen entscheiden sich mittlerweile für die sogenannte minimalinvasive endoskopische Kastration. Bei dieser OP-Methode werden lediglich zwei kleine Schnitte gemacht. Mittels eines Endoskopes werden dann die Eierstöcke entnommen. Dieser Eingriff ist deutlich komplizierter als die herkömmliche OP-Methode. Er bedarf viel mehr Zeit und Gerätschaften, sowie das Können eines Chirurgen. Im Vergleich zur „normalen“ Kastration ist diese aufwendige Methode noch ein Stück teurer. Somit muss man ganz klar sagen, dass eine Hündin in dieser Hinsicht mehr Kosten verursacht als ein Rüde.
Eine nichtkastrierte Hündin kann im Laufe ihres Lebens an einer Gebärmutterentzündung erkranken. Je nach Stärke und Verlauf der Erkrankung besteht die Möglichkeit, mit Medikamenten zu arbeiten, oder aber es wird eine Operation notwendig. Da es sich in erster Linie um eine hormonelle Imbalance handelt muss man damit rechnen, dass eine Hündin, die einmal eine Gebärmutterentzündung hatte, immer wieder eine bekommen wird. Aus diesem Grund ist eine Operation auch bei einer eventuell medikamentös behandelbaren Entzündung ratsam. Aber man muss auch von Fall zu Fall abwägen. Eine schwer herzkranke Hündin mit leichter Entzündung wird man vielleicht eher medikamentös behandeln versuchen, als zu operieren. Gleiches wird oft auch von Züchtern entschieden, wenn eine ihrer Zuchthündinnen noch einen Wurf bekommen soll.
Im erfreulichen Falle einer Trächtigkeit kann es aber leider auch immer zu Komplikationen kommen, die einen Kaiserschnitt erforderlich machen können. Es handelt sich hierbei um eine Not-OP, die nicht ganz kostengünstig ist. Hündinnen erkranken zudem im Alter häufig an Gesäugetumoren. Oft wird auch hier ein chirurgischer Eingriff notwendig, bei dem Teile der Gesäugeleiste, eine ganze Leiste oder manchmal auch beide Gesäugeleisten entfernt werden müssen. Dies sind alles Eingriffe, mit denen beim Rüden nicht zu rechnen ist.Doch auch die Herren der Schöpfung haben ihre geschlechtsspezifischen Probleme, die im Laufe ihres Lebens auf sie zukommen können.
Es passiert immer mal wieder, dass einer oder beide Hoden während des Wachstums nicht bis in den Hodensack absteigen. Sie verbleiben manchmal in der Bauchhöhle oder liegen irgendwo im Leistenspalt. Hier wird ein chirurgischer Eingriff notwendig, der deutlich aufwendiger ist als die „Standard-Kastration“. Liegt der Hoden (oder beide) in der Bauchhöhle, so wird ein Eingriff erforderlich, bei dem, genau wie bei der Hündin auch, die Bauchdecke eröffnet werden muss. Hodentumore könnten sich bei einem Belassen in der Bauchhöhle oder im Leistenspalt entwickeln.Aber auch so können Rüden im Laufe ihres Lebens Hodentumore entwickeln. Diese sind in der Regel gutartige, hormonell-ausgelöste Leydigzell-Tumore. Eine Kastration ist hier in den meisten Fällen kurativ.
Die Harnröhre der Rüden ist deutlich länger und enger als die der Hündin. Wenn sich durch eine Verschiebung des Urin-pH-Wertes Harnblasensteine bilden, kann es passieren, dass sich Steine beim Urinabsatz in der Harnröhre festsetzen und so einen weiteren Urinabsatz verhindern. In vielen Fällen ist der Tierarzt in der Lage, die Steine zurück in die Blase zu spülen und sie dann durch Eröffnung der Harnblase zu entnehmen. Jedoch gibt es immer wieder auch Fälle, bei denen es dem Tierarzt nicht gelingt, die Steine zurückzuspülen. In solchen Fällen muss ein künstlicher Ausgang vor der verstopften Stelle geschaffen werden. Eine Fistel wird chirurgisch angelegt.
Neben diesen Erkrankungen ist auch die Ausbildung von sogenannten Perianal-Hernien typischerweise eine Rüdenkrankheit. Es ist zwar nicht vollständig wissenschaftlich belegt, aber man vermutet eine hormonelle Störung als Auslöser. In der Regel sind unkastrierte Rüden über 5 Jahre betroffen. Es handelt sich hierbei um einen Dammbruch. Das heißt, dass die Muskulatur im Enddarmbereich auseinanderreißen kann. Es entsteht eine Bruchpforte, durch die sich sowohl Darmteile, als auch in schlimmen Fällen die Harnblase vorschieben können. Je nach Stärke der Hernie muss auch hier operiert werden. Eine zusätzliche Kastration wird standardmäßig im gleichen Verfahren empfohlen.
Somit wird ersichtlich, dass beide Geschlechter ihre geschlechtsspezifischen Probleme entwickeln können. Ob nun die Hündin oder der Rüde im Laufe des Lebens teurer wird, hängt voll und ganz von jedem einzelnen Fall ab und lässt sich nicht pauschal sagen. Am Ende sollte man immer sein Herz sprechen lassen, für welchen Hund man sich entscheidet. Die Entscheidung wird garantiert immer die Richtige sein. Ich wollte zum Beispiel mein Leben lang immer einen Rüden haben. Letzten Endes hat mich eine Hündin verzaubert, und es war vollkommen egal, dass es doch kein Rüde geworden ist. Der schönste Zufall und die beste Entscheidung meines Lebens, für die ich sehr dankbar bin.
TEXT: DR. VET. ANDREA HELD
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