Sammy Streckenbach gehörte viele Jahre lang zu den Pionieren der Körpermodifikation in Deutschland. Er war eine Ikone der Tattoo- und Piercing-Szene. Doch die letzten Jahre verlebte er nahezu einsam und alleine, unterstützt von der Sozialhilfe. Kaum einer erinnerte sich noch an ihn. Heute gilt Sammy als einer der wichtigsten Pioniere der Tattoo-Szene.
Horst »Sammy« Streckenbach wurde 1925 in Weiswasser/Oberlausitz geboren. Im Alter von zehn Jahren ließ er sich ganz zufällig tätowieren. »Ich war in der Kreisstadt zum Einkaufen, und da habe ich mich dann spontan tätowieren lassen. Das war ein Herz auf dem Arm«, erinnerte er sich. Im Alter von 13 oder 14 Jahren begann er selbst zu tätowieren. »Das war in Eslich, einem kleinen Dorf in Schlesien. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Vorbilder hatte ich keine, es gab ja auch keine, da das Tätowieren in der Nazizeit verboten war.« Wenig später musste er für die Deutsche Reichswehr in den Zweiten Weltkrieg ziehen, wurde dabei viermal verwundet und verlor am Ende sein Augenlicht. Er geriet in Gefangenschaft und saß nach Kriegsende viele Jahre in Großbritannien ein. Nach einer Operation erlangte er dort die Sehkraft wieder zurück und begann aus Langeweile, seine Mitgefangenen und Wärter zu tätowieren. Kurz darauf lernte er Les Skuses kennen, einen der umtriebigsten Tattoo-Künstler Großbritanniens, der bereits mit 17 Jahren mit der Nadel herumexperimentiert und kurz nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Bristol einen Tattoo-Laden eröffnet hatte.
Über Les Skuse kam der Kontakt zu Lyle Tuttle zustande, dem berühmten Tätowierer der USA, der Sammy vollends mit der hohen Kunst der Tätowierung vertraut machte. Ende der 40er Jahre kehrte Sammy zurück nach Deutschland, wo er unter Eindruck der Geschäftigkeit seiner Freunde in Frankfurt seine Tattoostube eröffnete. Da es zu jener Zeit in Deutschland nur wenige professionelle Tätowierer gab – im Grunde mit Christian Warlich in Hamburg nur den König – konnte sich Sammy über Arbeit nie beklagen. Seinen besonderen Ruf erlangte er, weil er alles anders machte als die anderen: Seine Tätowiermaschinen bestellte er nicht in den USA, sondern bastelte sie bis zuletzt selbst. Sie unterschieden sich daher gewaltig von den gängigen Modellen. In den 70er Jahren betrieb Sammy sogar einen bundesweiten Supply-Vertrieb, den fast alle Tätowierer jener Zeit in Anspruch nehmen mussten. Es gab sonst niemanden, der Farben und Maschinen anbot. Sammy war auch der einzige deutsche Tätowierer, der im Ausland tätowierte. Insgesamt achtunddreißigmal besuchte er allein die USA.
Für alteingesessene Tätowierer ist Streckenbach heute ein tragisches Beispiel für die Schwierigkeiten, mit denen die Tätowierer – nicht nur – in Deutschland viele Jahre zu kämpfen hatten und noch immer kämpfen. So war er zwar der einzige Tätowierer, der vom Finanzamt als »Künstler« eingestuft worden war und dementsprechend nur einen verringerten Steuersatz zu zahlen hatte. Nach zehn Jahren wurde ihm aber dieser günstige Status Ende der 80er Jahre rückwirkend aberkannt. Plötzlich hatte er Steuern in Höhe von über 100.000 Mark zurückzuzahlen. Sein Tattoo- und Piercing-Studio in Frankfurt ging Pleite, Sammy in die Sozialhilfe. Nach dem Tod seiner zweiten Frau lebte er nicht nur von der Sozialhilfe, sondern auch schwer krank in seiner kleinen Wohnung. Von seinen vielen Tattoo- und Piercing-Freunden standen ihm dabei nur noch wenige zur Seite. In seinem letzten Interview vor seinem Tod zeigte er sich verbittert: »Ich will mit der Szene nichts mehr zu tun haben. Keiner hat sich um mich bemüht und hat mir als Vorreiter Danke gesagt. Ich lebe jetzt von Sozialhilfe.«
Am 29. Juli 2001 ist Sammy Streckenbach gestorben. Die Grabstelle wurde durch Spendengelder von Brian Everett, Lyle Tuttle, Tommy Köhler, Stefan Fehlinger, Michael Heldman, Chris Pak und Joachim Winzer ermöglicht. «