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RATGEBER

Letzte Rettung: Narben-Tätowierungen

Für viele Tattoo-Fans sind Tätowierer wie Jörg die letzte Hoffnung auf ein schönes Tattoo und gleichzeitig auf ein normales Leben, trotz manchmal schwersten entstellenden Narben. Wir haben mit Tätowierer Jörg gesprochen:

Vernarbtes Gewebe zu tätowieren ist ja so ein Thema für sich. Neben einer Menge Erfahrung braucht man meist auch eine gehörige Portion Geduld. Und trotz aller Anstrengungen wird man niemals ein Ergebnis erzielen, wie es bei gesunder Haut der Fall ist. Dass solche Arbeiten normalerweise nicht gerade zu den Lieblingsaufgaben eines Tätowierers zählen, ist also eigentlich kein Wunder. Es gibt aber auch welche, die sich gerade auf solche Problemfälle spezialisiert haben. Einer dieser Spezialisten ist Jörg aka Pirate (Pirates Art of Tattoos, Borken). Naja, wer soll sich auch schon besser mit Narben auskennen, als so ein oller Freibeuter?! Wie er dazu kam, was er daran besonders mag und einiges Interessante mehr verriet uns Jörg in einem aufschlussreichen Interview:

TS: Jörg, über Narben zu tätowieren gehört ja nicht gerade zu den angenehmsten Seiten in deinem Beruf. Du machst das aber trotzdem recht gern. Warum?
Jörg: Ich würde gar nicht sagen, dass dies zu den unangenehmen Dingen in meinem Beruf zählt. Ich glaube, das muss man anders sehen. Sicher gibt es Schöneres als über vernarbtes Gewebe zu tätowieren. Aber wie immer steht der Kunde im Mittelpunkt, und der hat meist ein großes Problem mit seiner Narbe. Und wenn ich dem Kunden mit meiner Arbeit behilflich sein kann und ihn damit glücklich mache, dann macht mich das wiederum glücklich. So gesehen gehört das also eher zu den schönen Seiten meines Berufs.
TS: Mittlerweile giltst du ja als Spezialist auf diesem Gebiet. Wie kam es überhaupt dazu?
Jörg: Das ist leider eine sehr traurige Geschichte: Die erste Narbe, die ich tätowiert hatte, war die von Niko, der zuvor einen sehr schweren Autounfall hatte und bereits klinisch tot war. Er war der Einzige im Fahrzeug, der von den Ärzten reanimiert werden konnte, die anderen drei haben es nicht geschafft. Er hat seitdem eine riesige Narbe in V-Form über der Bauchdecke. Aber er wollte die Narbe nicht etwa unter einer Tätowierung verstecken, sondern sie ganz im Gegenteil noch mehr hervorheben. Er wollte den Schmerz, den er empfunden hatte, niemals vergessen. Wir haben dann nicht nur die Narbe selbst betont, sondern auch die Nähte, wie sie damals verlaufen sind, exakt nachgebildet. Wie gesagt, eine sehr traurige Geschichte. Nach und nach kamen dann immer mehr Leute mit Narben zu mir. Und so ist das Ganze entstanden.
TS: Die Narben, über die wir hier sprechen, sind ja Schnitt- und Brandnarben. Welche Unterschiede gibt es da, bzw, welche sind schwerer zu tätowieren?

Jörg: Das kommt immer darauf an. Meistens sind großflächige Brandnarben einfacher zu tätowieren, da sie in der Regel ebener und nicht wulstig sind. Wenn die Verbrennungen aber sehr schwer waren und die Narben mit so kleinen Kratern durchzogen sind, wird es wiederum sehr schwierig. So wie bei einer Kundin von mir, die ich seit langer Zeit immer wieder tätowiere, um ihre Narben zu überdecken. Sie hat sogar nicht nur Brandnarben, sondern darunter auch noch Schnittnarben. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass du die Farbe nicht einfach wegwischen kannst, sondern sie ständig ausspülen musst, weil sie in diesen Kratern hängen bleibt. Das dauert natürlich seine Zeit. Viel schwieriger aber ist es z.B. eine Linie zu ziehen, die hinterher auch richtig gerade wirkt. Dafür musst du mit einer Hand die Haut ständig ziehen und dabei auch ständig überlegen, wie genau du an dieser Stelle ziehen musst. Gleichzeitig musst du mit der Maschine mal drücken oder auch mal schieben. So, wie du es gerade brauchst. Das kann ich dir aber so nicht erklären, das müsste ich dir schon zeigen. Dafür braucht man Erfahrung und auch ein gewisses Gespür, ansonsten sieht die Linie hinterher eher aus wie eine Skala, auf der man einzelne Punkte miteinander verbunden hat. Generell kann man aber sagen, dass fast alle Narben schwierig zu tätowieren sind.
TS: Gibt es denn auch Narben, die überhaupt nicht zu tätowieren sind? Und ist das auch medizinisch immer unbedenklich?
Jörg: Natürlich gibt es die auch, ist aber eher selten, z.B. wenn die Narbe wie eine Falte nach innen gerichtet ist. Doch selbst solche Narben kann man unter Umständen noch in ein Motiv integrieren. Ansonsten sollte man immer darauf achten, dass die Narbe bereits vollständig abgeheilt ist. Es könnte ja sein, dass es im Nach­hinein zu Komplikationen kommt und sie noch mal geöffnet werden muss. Außerdem kann sich die Narbe in der Heilphase noch ein wenig zusammenziehen und dann würden evtl. z.B. die Linien nicht mehr stimmen. Ich tätowiere jedenfalls keine Narben, die sich noch in der Heilphase befinden. Aus medizinischer Sicht sehe ich keine Probleme, da es sich ja lediglich um abgestorbenes Gewebe handelt und nicht etwa um ein Muttermal. Kein anständiger Tätowierer würde jemals über ein Muttermal tätowieren. Das kann man aber nicht mit Narben vergleichen.
TS: Eine Narbe in ein Motiv zu integrieren, ist ein gutes Stichwort. Kannst du uns ein Beispiel dafür geben?
Jörg: Ja, man muss ja nicht immer über die Narbe tätowieren. Manchmal ist es schöner, sie in das Motiv mit einzubeziehen. Ich hatte mal eine Kundin, die todunglücklich mit ihrer Blinddarmnarbe war. Eigentlich wollte sie die mit einem Skorpion überdecken, was auch funktioniert hätte, nur nicht so gut. Letztendlich haben wir den Skorpion dann aber neben die Narbe gesetzt und das Ganze sieht nun aus, als würde der Skorpion ihre Seite aufschneiden. Die Frau war unglaublich glücklich mit dem Ergebnis, obwohl die Narbe jetzt noch viel deutlicher zu sehen war. Es kommt halt immer darauf an, was man aus der jeweiligen Situation macht.

Abschließend kann man wohl sagen, dass wegen einer Narbe noch lange nicht alles verloren ist. Was man daraus macht, hängt aber immer vom Einzelfall ab. Wichtig ist sicherlich, dass man sich für solche Fälle einen Tätowierer sucht, der bereits einige Erfahrungen auf diesem Gebiet hat. Wunder darf man aber nicht erwarten. Auch eine gut abgedeckte Narbe wird bei genauer Betrachtung immer sichtbar bleiben, sie steht aber nicht mehr im Fokus des Betrachters, der nun zuerst die Tätowierung wahrnimmt und nicht mehr die Narbe. Dank noch mal an Jörg für die Erklärungen.

Pirates Art of Tattoos
Hauptstrasse 27 – 46325 Borken
Tel: 02862-42424 – www.pirate-tattoos.de

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