Wieviel besser wäre es, wenn du bewußt gegen den verbliebenen Schmerz angehen könntest? Es gibt einen Weg – Tätowieren tut weh – daran führt kein Weg vorbei –, ABER die Abstufungen reichen dabei von „völlig problemlos“ bis hin zu „AUA!“ Wie stark der Vorgang des Tätowierens schmerzt, hängt von zwei Faktoren ab: den einen kann man selbst bestimmen – den anderen nicht.
Die Rede ist von der Körperstelle, die tätowiert werden soll und von der persönlichen Schmerzempfindlichkeit. Es gibt Menschen, die lassen sich auch die Achseln komplett tätowieren, ohne dabei mit der Wimper zu zucken, während andere schon bei einer kleinen Kirsche auf dem Schulterblatt jammern. Das hat nichts damit zu tun, ob man sich besser zusammenreißen kann oder nicht, sondern mit dem persönlichen Schmerzempfinden. Dass es dem einen mehr, dem anderen weniger weh tut ist dementsprechend also keine Einbildung, sondern ist persönliches Empfinden und das ist so individuell wie der genetische Code. Wohl dem, der sein Tätowiert-werden locker wegsteckt – aber was, wenn man zu denen gehört, die damit Schwierigkeiten haben? Die Natur hat uns im Kampf gegen Schmerzen ein Mittel zur Verfügung gestellt, das wir viel zu selten gezielt einsetzen: unsere Atmung!
Wer richtig atmet, dem tut’s weniger weh!
Jeder hat schon einmal von der speziellen Atmung gehört, die Gebärende anwenden, um besser klarzukommen. Natürlich sollt ihr nicht hechelnd auf dem Stuhl des Tätowierers sitzen. Ihr sollt ganz im Gegenteil sehr viel ruhiger atmen, als ihr das normalerweise tut. Wenn wir Schmerzen empfinden, neigen wir dazu, uns zu verkrampfen, wodurch wir leider die Schmerzen oft verstärken. Gelänge es uns, locker zu lassen, wären die Schmerzen geringer. Erstaunlicherweise ist es in verkrampfter Pose praktisch unmöglich, langsam und ruhig auszuatmen. Im Umkehrschluß ist es praktisch unmöglich, verspannt zu sein, WENN man langsam ausatmet. Ziel ist es also, die Atmung bewußt zu verlangsamen. Am besten geschieht das komplett durch die Nase. Einem tiefen langsamen Einatmen folgt ein, wenn möglich, fast doppelt so langes Ausatmen. Man darf die Luft nur ganz langsam aus der Nase ausströhmen lassen.
Mehrere Dinge geschehen bei dieser Atmung gleichzeitig.
Unser Herzschlag beruhigt sich, die Verkrampfungen des Körpers lösen sich und der Schmerz wird als nicht mehr so intensiv empfunden. Die Erleichterung bewirkt das Ausschütten von Endorphinen, die ebenfalls dazu beitragen, dass der Schmerz weniger gespürt wird.
Warum ist das so?
Wenn wir verkrampft sind, atmen wir auch so. Gleichzeitig schlägt unser Herz etwas schneller. Der Körper bekommt durch die verkrampfte Atmung und den schnellen Herzschlag die Rückmeldung, dass es einen Grund gibt, verkrampft zu sein – also atmen wir noch gepreßter und unser Herzschlag wird noch heftiger… diese Spirale kann sich erstaunlich lange weiter nach oben bewegen. Man kann sie aber stoppen und in die andere Richtung zurückbewegen, indem man mindestens einen der Faktoren ausschaltet. Entweder man entspannt „einfach“ den Körper – was den Wenigsten gelingt, oder man senkt die Pulsfrequenz – was man üblicherweise nur kann, wenn man Yogi ist – oder man atmet langsam und bewußt – DAS ist möglich…
Die anderen Bereiche – Verkrampfung und schneller Puls – bekommen durch das langsame Atmen das Signal, dass der Grund für den körperlichen Streß nicht mehr vorhanden ist und reagieren ihrerseits mit Beruhigung, bzw. Entspannung. Und wenn der Körper nicht länger die Signale an unser Gehirn schickt, dass es ihm nicht gutgeht, empfinden wir es auch nicht mehr so – der Schmerz ist geringer, weil er weniger empfunden wird.
Wie genau geht das und wie lange dauert es, bis es wirkt?
Die Wirkung ist mit dem ersten korrekten Ausatmen bereits da und verstärkt sich dann mit jedem weiteren Atemzug … das ist das Groß-artige daran. Ihr könnt es selbst ausprobieren, wie ihr euch mit Hilfe der Atmung entspannen könnt. Setzt euch in Ruhe hin, atmet ein paarmal normal ein und aus und nehmt dann durch die Nase einen langsamen, tiefen Atemzug. Atmet nicht übertrieben viel ein, lediglich soviel, als würdet ihr ein tiefes Seufzen von euch geben wollen. Wenn ihr dann ausatmet, tut dies ganz langsam, als müßtet ihr mit der Luft in euren Lungen noch eine kleine Ewigkeit auskommen. Spürt dabei, wie eure Schultern und euer ganzer Oberkörper weicher und entspannter wird. Wenn ihr es richtig macht, macht der entspannende Teil so „weich“, dass man das Gefühl hat, man möchte am liebsten sofort ins Bett und schlafen g
Ein spannendes Experiment!
Wenn ihr das langsame Ausatmen einige Male probiert habt und spürt, dass ihr dabei lockerlassen könnt, gibt es ein kleines, sehr spannendes Experiment, das ihr an euch selbst durchführen könnt. Fühlt mit einer Hand an eurem Hals euren Puls. Und dann atmet noch einmal tief ein und besonders langsam aus. Während der ersten Sekunden des Ausatmens wird sich euer Herzschlag verlangsamen…
Das ist einer der wichtigsten Effekte, die die verlangsamte Atmung auf unseren Organismus hat. Die Intensität, in der wir Schmerz wahrnehmen, hat viel damit zu tun, wie sehr der Schmerz unseren Geist belastet und unser Körper reagiert darauf mit einem erhöhten Puls. Senken wir die Herzfrequenz, senken wir damit automatisch auch die Empfindlichkeit unseres Schmerzempfindens.
Der Schmerz bleibt – er ist aber leichter zu ertragen.
Es ist also falsch, zu behaupten, durch die richtige Atmung ginge der Schmerz weg. Das tut er nicht – ganz egal, ob er klein oder groß ist – aber es fällt uns sehr viel leichter, ihn zu erdulden und daher kommt es uns ganz klar so vor, als sei er weniger.
… und zu guter Letzt…
…lenkt uns die Konzentration, die wir auf die richtige Atmung lenken, von dem Schmerz, den wir aushalten wollen, schlicht und ergreifend ab. Das hat schon funktioniert, als wir uns als Dreijährige die Knie aufgeschlagen hatten – das funktioniert auch noch mit 70 Jahren auf dem Stuhl des Tätowierers!
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