Der 32-jährige Kyle Sherwood ist Bestatter der dritten Generation und es schien ihm schon früh bestimmt zu sein, sich mehr mit dem Tod zu beschäftigen, als es den meisten von uns lieb wäre. Schon in früher Kindheit stand sein eigenes Leben schon mehrfach extrem auf Messers Schneide und der Tod selbst klopfte nicht nur mit dem kleinen Finger sanft an seine Türe, sondern schlug gegen sie mit roher Gewalt und geballter Faust.
Zusammen mit seinem Vater Michael hat Kyle die Arbeit des Leichenbestatters auf eine gewisse Art neu erfunden, oder sie zumindest um eine sehr ungewöhnliche, zusätzliche Dienstleistung erweitert. Die Rede ist davon, dass die beiden Bestatter auf Wunsch von Angehörigen, die Tattoos der Verstorbenen fachgerecht entfernen und als Andenken konservieren. Was beim ersten Gedanken vielleicht ziemlich makaber klingt und aus einem verrückten Horror-Film zu stammen scheint, ist im Amerikanischen Ohio nicht nur Realität, sondern trifft dort auch auf sehr große Nachfrage. Save My Ink Forever, frei übersetzt: Bewahre mein/e Tattoo/Tinte für immer. Wir haben mit Kyle und Michael über ihre ungewöhnliche Arbeit mit verstorbenen Tätowierten gesprochen.
Tattoo-Spirit: Kyle, Michel, darf man bei Bestattern eigentlich fragen, wie das Geschäft läuft?
Kyle: Natürlich, das ist kein Problem. Im Grunde läuft alles prima. Durch unser Tattoo-Angebot haben wir natürlich sowohl landesweit, als auch international viel Aufmerksamkeit erregt. Sogar ihr aus Deutschland interessiert euch für unsere Arbeit, das ist natürlich echt toll.
TS: Hat sich die Corona-Pandemie sehr stark auf euren Alltag ausgewirkt?
Michael: Gestorben wird natürlich immer, aber leider hatten wir in den vergangenen Monaten wirklich sehr viel mehr Todesfälle und viele davon durch Corona. Es ist auch nicht immer leicht, bei Bestattungen die Anzahl der Trauergäste zu begrenzen und alle Corona-Maßnahmen durchzusetzen.
TS: Und hat Corona auch euer Tattoo-Angebot beeinflusst?
Kyle: Ja, auf jeden Fall. Zwar sind die Wünsche der Angehörigen nach Tattoo-Konservierungen stark gestiegen, aber wir entfernen die Tattoos nicht persönlich, sondern übergeben diese Arbeit an speziell geschulte Einbalsamierer. Die waren aber wegen der Pandemie oft weniger bereit die chirurgischen Arbeiten durchzuführen, weil sie wegen des Virus verständlicherweise besorgt waren.
TS: Spulen wir ein wenig zurück. Was ist Save My Ink Forever und wann wurde es gegründet?
Michael: Save My Ink Forever gibt es seit 2016 und ist unseres Wissens nach das weltweit einzige Unternehmen, das sich auf postmortale Konservierung von Tätowierungen spezialisiert hat.
TS: In Japan gibt es aber Dr. Fukushi Masaichi, den japanischen Pathologen, der ebenfalls Tattoos von Verstorbenen konserviert.
Kyle: Das ist korrekt. Aber Dr. Masaichi macht dies nicht kommerziell und bewahrt die Tattoos für die Familien auf, sondern konserviert für rein wissenschaftliche Zwecke.
TS: Die Angehörigen müssen ein sogenanntes Autorisierungsformular ausfüllen und unterzeichnen. Was hat es damit auf sich?
Michael: Wir können ja nicht derartige Eingriffe am Körper des Toten ohne ausdrückliche Erlaubnis und Wunsch der Angehörigen durchführen. Also füllen diese ein spezielles Autorisierungsformular aus. Dort sind alle anatomischen Wünsche bezüglich der Tattoo-Konservierung klar definiert und beschrieben, um mögliche Verwechslungen auszuschließen.
Kyle: Sobald das Tattoo chirurgisch entfernt und konserviert wurde, wendet sich unser Archivar an die Familie des Verstorbenen um die Details von zB Bildrahmen-Größe, Farbe, Muster, Verzierungen, etc. zu besprechen. Der komplette Prozess dauert in der Regel drei bis vier Monate. Bei großen Tattoos, zB kompletten Rücken, oder ähnlichen Tattoos, brauchen wir eher fünf bis sechs Monate.
TS: Gibt es nur Befürworter oder auch Gegner eurer Arbeit?
Michael: Natürlich haben wir auch Menschen, die unsere Arbeit nicht gutheißen. Sie empfinden unseren Service als äußerst gruselig. Aber im Grunde verstehen sie nicht, was wir mit unserer Arbeit bewirken wollen: Ein bleibendes, reales und vor allem sehr persönliches Andenken an diejenigen, die ihnen so sehr am Herzen lagen. Es gibt den Hinterbliebenen die Möglichkeit, auf eine völlig andere Art zu trauern und den Verlust zu verarbeiten.
Kyle: Manchmal haben wir natürlich auch ein paar Trolle bei den Interessenten. Die fragen dann nach, ob wir aus der Haut ihres angeblich verstorbenen Ehemanns auch einen Lampenschirm bauen. Derartige Anfragen landen bei uns natürlich sofort im Müll. Wir haben für unsere Dienstleistung ganz klare Regeln. Wir entnehmen zum Beispiel keine Haut aus den Gesichtern der Verstorbenen.
TS: Wie viele Tattoos konserviert ihr ca. pro Jahr?
Kyle: Aktuell sind es 120 pro Jahr, Tendenz stark steigend. Vor allem steigt im Moment die Größe der angefragten Tattoos. Aber die Größe des Motives ist beim Thema Tattoo nicht wirklich wichtig. Viel wichtiger ist die Bedeutung des Tattoos für die Hinterbliebenen. Vor ein paar Tagen hatten wir einen verstorbenen Familienvater. Das Tattoo war relativ klein und von keiner guten Qualität. Aber es war ein Herz mit den Namen der beiden Töchter. Der Mann war 100 Jahre alt und ist friedlich und sanft eingeschlafen und von uns gegangen. So ein Tattoo zu konservieren ist eine wirklich schöne Sache und erfüllt uns mit sehr viel Freude.
TS: Kyle, du hast selbst ein paar Tattoos. Wird deine Familie euren Service auch nach deinem Ableben nutzen?
Kyle: Auf jeden Fall. Mein Vater und meine Frau streiten schon darüber, wer mein Beintattoo behalten darf (lacht).
TS: Welches konservierte Tattoo ist euch besonders in Erinnerung?
Michael: Wir hatten vor ein paar Monaten einen 97-jährigen mit einem original Salior-Jerry-Tattoo. Die Familie war sich des ganz besonderen Wertes dieses historischen Tattoos von Anfang an bewusst. Aus diesem Grunde wollten sie das Tattoo auch so sehr als Andenken.
TS: Warum ist Save my Ink Forever für euch so wichtig?
Kyle: Tattoos sind Kunst, das wird nicht immer so anerkannt, sollte aber jedem klar sein. Normalerweise stirbt ein Tattoo zusammen mit seinem Träger. Wir schaffen mit Save my Ink Forever die Möglichkeit, wenigstens den Tod der Kunst zu verhindern und die Erinnerung zu bewahren.