Zoltan Papp (Ink Infusion, Burghausen) stand schon seit längerer Zeit auf unserem Wunschzettel für einen Studiobericht. In Deutschland gehört der junge Künstler zweifelsohne zum Besten, was die Szene zu bieten hat. Die hohe Qualität seiner Arbeiten hat ihn aber auch weit über die deutschen Grenzen bekanntgemacht. Dabei ist es vollkommen unerheblich, um welche Stilrichtung es geht. Alles, was seine Nadel verläßt, ist hervorragend. Kurz gesagt, ein Ausnahmekünstler. Oder vielleicht doch nicht? Haben wir uns etwa geirrt und liegen mit unserer Einschätzung völlig daneben? Bleiben Sie dran, wir werden es erfahren.
Persönlich kannte ich Zoltan zuvor eher nur flüchtig, doch wenn ich über jemanden schreibe, dann will ich ihn schon etwas genauer kennenlernen, und dafür ist ein ausgiebiges, persönliches Gespräch noch immer das beste Rezept, was nichts anderes bedeutet, als hinzufahren und ihn in seinem Studio zu besuchen. Diesmal aber hatte ich das Glück, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können, indem wir ein Treffen auf der Eggenfeldener Convention verabredeten, zu der ich ohnehin mußte. Eigentlich mache ich das nicht so gerne, weil man auf Conventions dann doch nicht die Zeit für ein anständiges Gespräch findet. Zoltan hatte mir aber zugesichert, genügend Zeit für mich einzuplanen, und so saßen wir am Samstagnachmittag gemütlich im Catering-Bereich der Rottgauhalle. Also, ich war schon sehr beeindruckt, wie offen und ehrlich er mir von seinem Werdegang erzählte und wie bescheiden dieser von so vielen bewunderte Mensch in Wirklichkeit ist. Als erstes will ich aber mal einen Irrglauben aus dem Weg räumen, der sich noch immer hartnäckig aufrecht hält: Da Zoltan gebürtiger Ungar ist, wird er auch immer gerne der ungarischen Tattooszene zugeordnet. Dies ist aber absolut falsch, wie er ausdrücklich betont. Als er anfing, zu tätowieren, lebte er bereits lange Zeit in Deutschland, und zu anderen ungarischen Künstlern hat er auch nicht allzuviel Kontakt, außer zu Boris, den er sowohl in künstlerischer als auch in menschlicher Hinsicht sehr schätzt. Wenn man ihn schon unbedingt einer Szene zurechnen will, dann also bitte der deutschen. Den Entschluß, Tätowierer zu werden, faßte er allerdings bereits in Ungarn, als er durch Zufall herausfand, daß einer seiner Verwandten, den er selbst nicht einmal kannte, einer der Begründer der ungarischen Tattooszene war. „Im Fernsehen lief gerade ein Bericht über einen Tätowierer, und plötzlich sagte meine Großmutter zu mir: „Schau mal, Zoltan, das ist dein Cousin.“ Wow, mein Cousin Tätowierer und im Fernsehen?! Das fand ich unglaublich cool. So wollte ich auch werden.“ Naja, damals war er gerade zehn oder elf Jahre alt, und wie viele Jungen in dem Alter wollten nicht auch Rennfahrer oder Feuerwehrmann werden und sind es später schließlich doch nicht geworden? Bei mir war es übrigens Rockstar. Blöd nur, daß ich nie über ein paar Akkorde auf der Gitarre hinausgekommen bin und zu allem Überfluß auch noch eine grauenhafte Stimme habe, aber das nur nebenbei.
Als Zoltan 1992 dann als Fünfzehnjähriger nach Deutschland kam, absolvierte er erstmal eine klassische Ausbildung zum Automechaniker, bevor er sich an seinen noch immer im Unterbewußtsein herumirrenden Kindheitstraum erinnerte. „Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag ließ ich mich selbst tätowieren, und da fiel mir wieder ein, daß es doch der größte Wunsch in meiner Kindheit war, einmal selbst Tätowierer zu werden.“ Um diesen langgehegten Wunsch nun endlich in die Tat umzusetzen, fuhr er zu seinem Cousin nach Ungarn, berichtete ihm von seinem Vorhaben und fragte, ob er ihm nicht eine Zeitlang bei der Arbeit zusehen dürfe. Nun hatte sein Cousin zu dieser Zeit aber gerade kein Studio mehr und Zoltan somit auch keine Gelegenheit, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Sein Equipment allerdings hatte der Cousin noch und bot es ihm freundlicherweise zum Ausprobieren an. „Als ich von Tom Hanke tätowiert wurde, hatte ich ihm genau zugeschaut und wollte es jetzt mal selbst auf meinem Bein ausprobieren. Ich wollte einfach wissen, ob ich ein Gefühl für die Maschine entwickeln kann, und hatte mir fest vorgenommen, die ganze Sache gleich wieder seinzulassen, wenn mir das Ergebnis auf meinem Bein nicht ausreichend gefallen würde.“ Doch es gefiel. Kein Kunstwerk, aber immerhin. Ein Jahr dauerte es dann noch, bis er das Geld für seine erste Ausrüstung zusammengespart hatte und anfing, seinen Freundeskreis zu tätowieren. Allerdings nichts Aufwendiges, nur kleine Sachen, die man später noch gut ausbessern konnte, oder auch kleinere Reparaturen, wenn ein Tribal z.B. nicht richtig schwarz war. „Ich habe immer sehr darauf geachtet, daß ich mich nicht übernehme, und nur das gestochen, was ich mir auch zugetraut habe. Die ersten zwei Jahre habe ich deshalb auch fast nur Tribals tätowiert.“ Als reiner Autodidakt ging er schwierigere Motive erst ganz langsam an, bis aus den ganzen kleinen Fähigkeiten, die er sich so nach und nach aneignete, ein enormer Fundus an Wissen entstanden war, aus dem er heute jederzeit schöpfen kann und durch den er mittlerweile in der Lage ist, jedes Motiv in höchster Perfektion anzufertigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Tätowierern war er künstlerisch nur wenig vorbelastet, weshalb er das Tätowieren auch von der rein technischen Seite her betrachtet. Zum Zeichnen kam er überhaupt erst richtig durch die Tätowiererei, und eigentlich auch nur, um seine Arbeiten vorzubereiten, also auf Kundenwunsch. Wie er ehrlich gesteht, fällt es ihm auch nicht leicht, irgendwas selbst zu entwerfen, wenn er sich nicht vorher schon mal mit etwas Ähnlichem auseinandergesetzt hat. „Ich komme ja nicht von der künstlerischen Seite. Dazu fehlt es mir an Kreativität. Wenn ich mich z.B. vor ein weißes Blatt Papier hocken würde, um irgendetwas Neues zu entwerfen, wäre das Blatt auch Stunden später noch weiß. Da fehlen mir einfach die Ideen. Ich schaue mir dafür Bilder von anderen großen Künstlern an und versuche, sie zu verstehen. Wenn ich ein Bild verstehe, wenn ich weiß, wie es funktioniert, kann ich Teile davon für meine eigenen Arbeiten verwenden. Dann sind die Sachen in meinem Kopf abgespeichert, und wenn ich sie benötige, brauche ich sie nur noch abzurufen. Dabei ist es vollkommen egal, um welche Stilrichtung es geht. Man kann z.B. durchaus bestimmte Techniken aus einem fraktalen Bild von Aitchison für ein Portrait benutzen. Alles, was ich kann, ist im Grunde reine Technik.“ Das heißt aber nicht, daß Zoltan andere Künstler kopiert, er benutzt ihre Bilder vielmehr für seine eigene Inspiration.
Also wenn z.B. ein Kunde eine bestimmte Vorstellung für sein Motiv hat, schaut er sich Umsetzungen anderer Künstler an, um Ideen zu sammeln. Das, was letztendlich daraus entsteht, ist aber wieder etwas vollkommen anderes. Kunden hingegen, die ohne jegliche Idee zu ihm kommen und sagen: „Hier hast Du meinen Arm, mach´ irgendwas Schönes daraus“, worüber sich die meisten anderen Tätowierer freuen würden, sind ihm eher ein Greuel, denn Zoltan möchte den Kunden keinesfalls seine aktuellen Launen aufdrängen. Kennt er die betreffende Person allerdings und kann ihre Persönlichkeit einschätzen, reicht das schon als Anhaltspunkt aus, um etwas Passendes zu finden. Er muß also eigentlich nur den richtigen Ansatz haben. Durch seine jahrelange Erfahrung und die ganzen Einflüße, die er in dieser Zeit für sich verinnerlicht hat, ist Zoltan zu einem Allrounder auf höchstem Niveau geworden. Eine Vorliebe für eine bestimmte Stilrichtung hat er nicht. Im Gegenteil: Zoltan braucht die ständige Abwechslung und ist dabei auch nicht abgeneigt, einfache Tribals oder Chinazeichen zu tätowieren. Was der Kunde haben möchte, das soll er auch bekommen. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum einige keine kleinen Tribals machen wollen. Das ist doch vollkommen okay. Der Kunde ist glücklich, ich bin glücklich, weil der Kunde glücklich ist, und ich habe mein Geld verdient. Mir ist nur wichtig, daß das Ergebnis immer perfekt ist. Wenn ich wochenlang nur aufwendige, großflächige Sachen gemacht habe, macht mich das auch ein wenig müde, weil ich grundsätzlich alles gebe. Da freue ich mich doch, wenn ich mal nur Chinazeichen tätowieren darf. Das ist dann wie ein kleiner Urlaub, in dem ich wieder neue Kraft tanken kann. Außerdem sehe ich das ganze komplett professionell und stelle meine Interessen grundsätzlich hinter die des Kunden. Schließlich ist es seine Tätowierung und nicht meine.“
Um noch mal auf die Technik zurückzukommen: Bei seinen farbigen Arbeiten fällt mir immer wieder diese gewisse Intensität auf, die ich hauptsächlich von amerikanischen Tätowierern her kenne. Gibt es dafür eigentlich eine besondere Technik oder besondere Farben? „Nein, das hat eher etwas mit Geduld zu tun. Ich arbeite bunte Farben genauso intensiv in die Haut ein wie bei einem tiefschwarzen Tribal. Deswegen sehen die Arbeiten manchmal etwas bonbonfarben oder comicartig aus. Aber das hält auf Dauer und hat den Vorteil, daß, wenn die Farben nach Jahren etwas verblassen, sie das gleichmäßig tun und die Tätowierung immer noch gut aussieht, worauf ich sehr großen Wert lege. Es hat allerdings den Nachteil, daß man bei den Motiven etwas eingeschränkt ist, wenn man das immer so machen will; z.B. darf ich die Farbe bei bestimmten Lichteffekten nicht so intensiv einarbeiten wie den Rest, wenn sie noch wirken sollen.“
Daß Zoltan ein begnadeter Techniker ist, will ich nicht anzweifeln. Daß er obendrein ein äußerst sympathischer Mensch ist, weiß ich nun auch. Nur das mit der fehlenden Kreativität sehe ich nicht ganz so wie er, schon gar nicht, nachdem ich ihn jetzt etwas näher kennengelernt habe. Denn so, wie er an die Sachen herangeht und seine Motive entwickelt, braucht er schon eine gehörige Portion davon. Auch wenn er sich dabei bei anderen Künstlern bedient, entsteht aus den verschiedenen Einflüssen doch immer etwas Neues. Man braucht sich ja nur seine Arbeiten anzuschauen, egal welche.
Aber da hat er wohl ganz andere Ansprüche, genau wie er sich bei seinen Arbeiten nur an Spitzentätowierern orientiert. Alles Leute, mit denen er nicht verglichen werden will, weil sie laut eigener Aussage in einer Liga spielen, in die er erst noch gelangen will. Auf dem besten Weg dorthin ist er aber bereits. Wenn er nicht schon angekommen ist. Aber um das “zuzugeben“, wäre er wieder viel zu bescheiden.