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Chris Dettmer

Tätowierungen im traditionell westlichen Stil, dem so genannten Old School, faszinieren mich immer wieder aufs Neue. Die vermeintlich „einfache“ Art der Darstellung von Dingen ist für mich die stärkste Form der Tätowierung überhaupt und alles andere als einfach, wenn man sie genauer betrachtet. Doch obwohl gerade mal wieder in Mode und in nahezu jedem Studio im Angebot, gibt es hier verhältnismäßig wenige „echte“ Spezialisten, die sich so intensiv mit dieser Materie auseinandersetzen, wie es z.B. in Japan bei Horiyoshi III mit der traditionell asiatischen Stilrichtung der Fall ist. Ein Grund dafür ist sicherlich der, daß man für diesen, doch recht speziellen Stil, auch erst einmal die passende Kundschaft haben muß. Einer von diesen, einer der den Stil „Old School“ perfekt beherrscht, ihn geradezu lebt und eben auch über besagte Kundschaft verfügt, ist Chriss Dettmer. Und dann arbeitet Chriss auch noch ausgerechnet in Hamburg, wo die deutsche Tattoo-Szene ihren Ursprung hat und er seit geraumer Zeit fest zum Team von „Tattoo Nouveau“ gehört. Passender könnte es wohl kaum sein. Bei meinem Besuch, war ich erst einmal überrascht, quasi auf einen Redaktionskollegen zu stoßen. Denn was die wenigsten wissen: Chriss Dettmer hat selbst schon mal ein Tattoomagazin herausgegeben. Zwar nur eine Ausgabe und auch nur in ganz kleiner Auflage, doch gab es von seinem Professor eine glatte Eins für diese Form einer Diplomarbeit in Grafikdesign. Genau dieselbe Note, die er von uns für seine Arbeiten erhält. Während unseres Gesprächs wurde mir schnell klar, daß Chriss auch kein großer Freund unnötiger Worte ist. „Ehrlich gesagt interessiert Niemanden meine Vergangenheit, meine Zukunft liegt im Ungewissen und meine Gegenwart könnte man am besten zeigen indem ich schreibe wie ich bin und was ich denke.“ bekam ich als Erstes zu hören. Trotzdem, oder gerade deshalb, war unser Gespräch äußerst interessant und gestattete mir einen kleinen Einblick in die Arbeits- und Sichtweise eines außergewöhnlichen Künstlers. Dabei waren seine Antworten wie seine Arbeiten: Kurz und ohne Geschnörkel auf den Punkt gebracht. Echter Old School eben.

Tattoo Spirit: Vom Stil her kann man dich ja eindeutig dem Bereich Old School oder besser der traditionell westlichen Tätowierung zuordnen. Was magst du besonders daran?
Chriss: Ich liebe die kompromisslose Darstellung. Es ist simpel ohne einfach zu sein. Stark und ernst. Und eine unglaubliche Herausforderung die Dinge aufs Wesentliche zu reduzieren.
TS: Hat deine Vorliebe auch etwas damit zu tun, daß du zuvor Grafikdesign studiert hast?
Chriss: Beeinflußt hat es mich sicher, doch meine Vorliebe war schon vorher da. Technisch entferne ich mich grade von dem Laserprinter-Feeling. Eher automatisch als beabsichtigt. Die Tattoos sind trotzdem noch sauber, nur sind sie irgendwie lebendiger.
TS: Was macht eine gute Tätowierung im traditionell westlichen Stil aus, bzw. was verleiht ihr diese enorme Ausdruckskraft?
Chriss: Die Vereinfachung! Das Beschränken und Hervorheben des Wesentlichen, ohne dabei zu sehr zu übertreiben. Das ist eine Art Gratwanderung; sehr gefährlich ins Alberne abzurutschen. Dann sind dazu noch kompositorische Regeln zwingend wichtig, sowie technische Notwendigkeiten, die hier aufzuzählen zu lang wäre. Wichtig ist, daß der Zeichner sich Zeit nimmt und es ernst meint.
TS: Neben dem plakativen Erscheinungsbild solcher Tätowierungen gibt es ja auch noch eine emotionale Seite, die sich vor allem auf die Symbolik alter (Seefahrer-) Motive bezieht. Spielt die auch bei deinen Arbeiten eine Rolle? Vielleicht sogar in Richtung Seefahrerromantik?
Chriss: Ja. aber eher in Richtung Sehnsucht nach einer Menschheit, die im Einklang mit dem Rest der Welt lebt. So eine Art Wertefrage und andauernde Traurigkeit. Die Romantik der Dinge hängt nicht davon ab WAS du darstellst sondern WIE.
TS: Du arbeitest ja in Hamburg, sozusagen der Wiege der deutschen Tattooszene. Hat man in dieser Stadt nicht schon automatisch einen besonderen Bezug zum Old School?
Chriss: Wenn ich mich so umsehe, leider nicht.
TS: Wie gehst Du an die Sache heran, wenn du ein x-beliebiges Motiv im traditionell westlichen Stil umsetzt und was ist die eigentliche Schwierigkeit dabei?
Chriss: Immer erst ein Bild/Foto der Sache die ich zeichnen will. Dann vereinfachen/ aufs Wesentliche reduzieren. Dann Komposition. Und das alles irgendwie gleichzeitig, weil eins das andere beeinflusst. Schwierig ist alles daran.
TS: Wenn ich mir deine Arbeiten anschaue, fallen mir besonders die ungewöhnlichen Schädel auf, die recht wenig mit einer korrekten Anatomie zu tun haben und die ich bisher nur von dir kenne. Kannst du uns etwas darüber erzählen?

Chriss: Ganz im Gegenteil. Die meisten sind exakte Abbildungen eines Schädels. Die Natur als Vorlage, nur mit meinem Handstrich umgesetzt.
TS: Du hast ja gesagt, daß du früher eher im Bereich New School unterwegs warst. Ich persönlich finde es manchmal gar nicht so einfach die beiden Stilrichtungen klar voneinander abzugrenzen. Worin siehst Du hauptsächlich die Unterschiede zum Old School bzw. zur traditionell westlichen Richtung?
Chriss: Für mich: New School sieht aus wie ein Kaugummi. Old School sieht aus, als könnte derjenige nicht richtig zeichnen.
TS: Auch wenn sich traditionell asiatische Arbeiten vom Anblick sehr von Old School Arbeiten unterscheiden, gibt es doch viele Gemeinsamkeiten. Ob es nun um die aussagekräftige Symbolik oder auch um die Reduktion aufs Wesentliche geht. Liegt es da nicht nahe, dass du dich auch dafür interessierst? Machst du etwas in dieser Richtung?
Chriss: Seit einiger Zeit interessiere ich mich für alte asiatische Kunst und ich fange an mich manchmal daran zu trauen. Doch habe ich großen Respekt davor.
TS: Letzte Frage, die besonders für zukünftige Gesprächspartner ein Denkanstoss sein soll: Was bekomme ich von dir, wenn ich endlich damit aufhöre dir dumme Fragen zu stellen?
Chriss: Einen Einblick in Jemanden, der Tätowierungen liebt und das ganze Leben drum herum. Du stellst keine dummen Fragen. Danke.

Bei meiner letzten Frage dachte ich natürlich eher an ein wenig Bares aber da muss ich wohl noch an meiner Strategie arbeiten. Nein, war nur ein Scherz. Nicht das jetzt jemand auf falsche Gedanken kommt. Außerdem hat mir die Begegnung mit Chriss schon genug Freude gebracht. Ein richtig netter Zeitgenosse. Aber da überzeugt Euch am besten selbst. «

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