Das Augen-Motiv ist zur Zeit unglaublich beliebt. Es hat etwas geheimnisvolles und zugleich magisches. Das Auge ist nicht nur eines unserer wichtigsten Sinnesorgane, sondern auch voller tiefgründiger Bedeutungen.
»Ich glaube Ihnen! Diese Augen lügen nicht! Wie oft habe ich euch schon gesagt, euer Hauptfehler besteht darin, dass ihr die Bedeutung der menschlichen Augen unterschätzt. Begreift doch, Zungen können die Wahrheit verbergen, aber Augen nie! Man stellt euch eine plötzliche Frage, ihr zuckt nicht einmal, habt euch sofort in der Gewalt und wisst, was ihr sagen müsst, um die Wahrheit zu verbergen, ihr sprecht höchst überzeugend und keine Falte eures Gesichts bewegt sich, doch leider springt die von der Frage aufgestörte Wahrheit für einen Moment vom Grund der Seele in die Augen – und schon ist alles aus! Die Wahrheit wird bemerkt, und ihr seid ertappt!« Zitat aus Michail Bulgakow, »Meister und Margarita« (Dtv -1978):
Ganz gleich, wie sehr wir uns im Griff haben – unsere Augen verraten, was in uns vorgeht. Nicht ununterbrochen, aber mindestens immer wieder für kurze Momente und so ist es nicht verwunderlich, dass Augen, ähnlich wie Hände, uns Menschen enorm wichtig sind. »Das geht ins Auge«, »Die Augen sind Spiegel deiner Seele«, »wie seinen Augapfel hüten«, »eine Sache im Auge behalten«, »das passt wie die Faust aufs Auge« … es gibt zahllose Rendensarten, die unsere Augen betreffen. Der Mensch wird von Wissenschaftlern häufig als Augentier bezeichnet. Man geht davon aus, dass 80 bis 90% der Informationen über die Umgebung über die Augen aufgenommen werden. Aber im Gegenzug werden auch erstaunlich viele Informationen über uns durch eben diese an unsere Umwelt freigegeben – ob wir wollen oder nicht.
Eine der Wirkungen von Augen auf die Umwelt, die gar nichts mit dem Ausdruck der Augen zu tun hat, finden wir beim »Kindchen-Schema« bei dem große Augen in einem kleinen, am besten runden Gesicht automatisch einen Beschützerinstinkt auslösen – und das sogar Spezies-übergreifend. Das heißt, dass wir nicht nur Menschenbabies und zierliche Menschen mit großen Augen beschützenswert finden, sonden auch Hundewelpen oder andere Tiere, auf die dieses Schema zutrifft. Aber vor allem der Ausdruck der Augen ist entscheidend für das, was wir über unseren Gegenüber erfahren – oder dieser über uns. Der Ausdruck unserer Augen zeigt stärker als unser Körper es tut, unsere Gefühlsregungen und -zustände, Interesse, Desinteresse, Langeweile, Begeisterung, Furcht, Misstrauen, Zuneigung und vieles mehr.
Große, entspannt-weitgeöffnete Augen zeigen Interesse und freundliches Entgegenkommen – Friedfertigkeit. Weit aufgerissene Augen decken, je nachdem, auf welche Weise sie aufgerissen sind, das Spektrum von Erstaunen über Entsetzen bis hin zu panischer Angst ab. Zusammengekniffene Augen zeigen Wut oder Konzentration – auch hier gilt, dass man den verschiedenen Varianten sofort ansieht, um welche es sich handelt. Die Größe der Pupille zeigt den Grad der Erregung, in der sich jemand befindet oder ob er sich in Finsternis aufhält oder in gleissendes Licht blickt.
Gerötete Augen wirken immer gequält. Normalerweise benötigen wir den gesamten Körper, um ein Gefühl ohne Worte oder Geräusche zu verdeutlichen. Unseren Augen gelingt dies ganz alleine.
Erstaunlicherweise reicht es dabei sogar aus, wenn man nur die Augen sieht. Meistens muss man nicht einmal den Rest des Gesichts sehen, um zu verstehen, was der Mensch fühlt, dessen Augen gerade einen speziellen Ausdruck haben. Im Extremfall reicht es sogar, nur ein einziges Auge zu zeigen.
Aus diesem Grund tauchen Augen immer wieder als Tattoo-Motiv auf. Angst, Glück, Liebe, Trauer … ein Blick auf das Bild und wir wissen sofort, was gemeint ist. Am interessantesten ist das Auge als Motiv, wenn es noch mit anderen Motiven kombiniert wird.
Wenn in einem entsetzten Auge das Spiegelbild des Grundes für das Entsetzen zu sehen ist – z.B. eine auf das Auge gerichtete Waffe, oder ein Monster, dann wird das Motiv »Auge« zu einer kompletten Geschichte. Zu der Geschichte von der Bedrohung von außen. Eine andere Kombination zeigt irgendetwas, dass aus dem entsetzten Auge nach außen dringt – der Feind im Inneren – oder das innere Selbst, das sich verbirgt und nicht herauswagt … Das weinende Auge, kombiniert mit einem Schriftzug, der Geburts- und Sterbedaten zeigt, muss nicht erklärt werden … Das zornige Auge in Kombination mit einem anderen Motiv verdeutlicht, wodurch die innere Wut entsteht und geschürt wird.
Das Augenmotiv steht fast immer für den emotionalen Zustand des Trägers des Tattoos und ist damit allgemeiner und doch gleichzeitig auch individueller als die meisten anderen Motive. Es kann für alles Mögliche stehen und doch wird es durch die Wahl des konkreten Ausdrucks zum Zeichen für den individuellen Zustand und die einzigartige Situation.