Tattoostudios gibt es viele, aber es gibt nur ein All or Nothing Tattoo. Falls ihr dieses Jahr zufällig in die Vereinigten Staaten reist, solltet ihr irgendwie versuchen, Brandon Bond über den Weg zu laufen. Der Gewinner des ‘Tattoo Artist of the Year’-Award und Besitzer des ‘All or Nothing’-Tattoo-Studios in Atlanta wird auf diversen Cons zu Gast sein und dort Vorträge für professionelle Tätowierer halten, bei denen er genau jene Fragen beantwortet, die ihm jeden Tag aufs Neue tausendfach gestellt werden. Er wird dabei über die verschiedensten Aspekte des erfolgreichen Tätowierens reden und eine ganze Reihe von technischen wie künstlerischen Themen abhandeln (z.B. Bildauswahl und -kreation, Plazierung und Ausführung), aber auch auf den geschäftlichen Teil des Berufes eingehen, insbesondere auf den der richtigen Promotion. Es genügt nämlich nicht, über Talent zu verfügen und eine gute Technik zu entwickeln. Sich so zu präsentieren, daß die Welt von den eigenen Fähigkeiten erfährt, ist ebenso wichtig. „Es bringt dir eben nichts, wenn keiner weiß, wie gut du bist“, sagt Brandon.
Wenn man ihm zuhört, wird schnell klar, warum Brandon mit mehr Preisen ausgezeichnet wurde als er wohl je in seinem Studio wird ausstellen können. Natürlich ist er eines der begnadetsten Talente der USA (was die Fotos dieses Berichtes eindrucksvoll belegen), aber anstatt sich selbst in seiner Kunst zu verlieren und sich nur auf diese zu konzentrieren, wie es so viele junge und unerfahrene Künstler tun, ist es gerade Brandons eindrucksvolles Verständnis vom Gesamtbild, das beweist, wie weit es Talent und Professionalität vereint bringen können; insbesondere, wenn man bedenkt, mit wieviel Spaß er bei der Sache ist, wie er sein Leben zu einer einzigen Party macht und sich gemeinsam mit seinem Studioteam bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit höllisch amüsiert, sich selbst nicht ernst nimmt, seine Arbeit und die Verantwortung für sein Team dafür um so mehr. Man mag Brandons allgegenwärtigen Geschäftssinn etwas seltsam finden. In Wahrheit weiß er einfach nur zu gut, wie wichtig es ist, für sich selbst und die Menschen, die von einem abhängig sind, sorgen zu können, vor allem als Künstler, der eigentlich nichts lieber möchte als sich auf die Kunst zu konzentrieren. In der Lage zu sein, sich und seine Arbeit gut zu verkaufen, ist von fundamentaler Bedeutung, wenn man nicht nur auf diesem hart umkämpften Markt überleben, sondern auch noch als anerkannter Künstler erfolgreich sein will.
Vor zwölf Jahren begann Brandon aufgrund seiner hohen Begeisterung für die Sache mit dem Tätowieren: „Ich liebte Tattoos, ich wollte noch mehr Tattoos, und ich war von dem ganzen Prozess fasziniert, dem Lifestyle, dem Artwork, den Techniken, und es schien ein toller Weg zu sein, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und es war letztlich noch viel großartiger, als ich es mir erhofft hatte… es ist einfach fucking amazing.“ Schaut man sich die verschiedenen Beispiele seiner Arbeit an, wird offensichtlich, daß Brandon große Erfahrung mit den verschiedensten Tattoostilen hat, wobei er auch glaubt, daß man diese Vielseitigkeit von einem Tätowierer verlangen können sollte. „Daß von uns jeden Tag viele verschiedene Stile verlangt werden, hält uns auf Trab und läßt uns mit jedem neuen Auftrag phantastische Arbeit vollbringen.“
Fragt man nach den ihn inspirierenden Einflüssen, erklärt Brandon, daß seine Arbeit auf gewisse Weise seinen eigenen Bodysuit widerspiegelt, der zum größten Teil von Joe Capobianco und Eric Merrill tätowiert wurde, auch wenn sein eigener Stil doch etwas anders ausfällt. „Ich wollte Realismus mit illustrativen Techniken kombinieren, oder anders ausgedrückt, ich wollte es wie ein auf der Realität basierendes Gemälde aussehen lassen. Etwas zu einhundert Prozent realistisch darzustellen, ist optisch sehr langweilig; ihm Leben, Farbe und Intensität zu geben, dafür zu sorgen, daß es aus der Haut herausspringt und dir eine scheuert, das ist das Ziel. Das wollte ich erreichen, bevor ich in Rente gehe, und jetzt stecke ich knietief drin.“ Seine Philosophie und seine Art, zu tätowieren, sind stets erkennbar, ganz gleich, welchen Stil, welches Motiv er auf die Haut bringt. Am meisten fasziniert die Tatsache, daß er nur selten die Haut selbst benutzt, um Highlights zu setzen. Für ihn ist die Haut wie eine Leinwand, die komplett bemalt sein muß, um ein vollständiges Gemälde zu ergeben. „Freiräume bei Farbmotiven halte ich für nachlässig. Wenn man schon irgendwas bemalt, warum dann nur halb? Ich fülle von einer Linie zur gegenüberliegenden aus; wenn da ein Highlight ist, steche ich weiß, gelb, grün, blau, irgendwas halt! Wir sind nicht mehr in den 1950ern, und ich will auch nicht, daß meine Arbeiten so aussehen, als stammten sie aus jener Zeit. In meinem Studio peilen wir das Zeug von 2025 an. Am liebsten höre ich von den Leuten die Frage: ‘Ist das etwa ein echtes Tattoo?’
Diese Art von Hingabe, kombiniert mit der Vielseitigkeit in den Stilen und der Fähigkeit, diese zu einem neuen und interessanten Ganzen zu vermengen, hat zu eben jenem Erfolg geführt, den ‘All or Nothing’ gerade genießt. Das Studio platzt beinahe vor Trophäen und Auszeichnungen. „Wir mußten das WC im Shop zum Ausstellungsraum machen, denn ich bin nicht der einzige hier, der Preise einsackt; wir haben hier eine Armee von Künstlern, die irgendwie bei jeder Show irgendwas gewinnen.“
Es ist offensichtlich, daß diese „Armee“ einen weltweiten Eindruck hinterlassen hat. Etwa 75 Prozent von Brandons Kunden kommen aus dem Ausland. Tattoo-Magazine und das Internet führen sie „wie die Bulldoggen zum Steak“, sagt er.
Immer in möglichst weiten Bahnen denkend, bietet das Studio sogar einen Shuttle Service vom und zum Flughafen an und übernimmt die Reisekosten (für Flug und Hotel), wenn der Kunde eine entsprechend große Arbeit in Auftrag gibt. „Wir fahren fast jeden Tag irgendwen durch die Gegend.“
Aber obwohl so viel zu tun ist, nutzen Brandon und seine Crew jede sich bietende Gelegenheit für Spaß und und Entspannung, man albert herum und feiert ständig irgendwas. Letztes Halloween gab es eine höllische Party, nur einer von vielen Belegen für das Entstehen einer einzigartigen Familie, die Talent und Erfahrungen frei miteinander austauscht und so die Fähigkeiten jedes „Angehörigen“ verbessert und das bestmögliche Produkt abliefert. Jeden Tag passieren witzige Sachen, auch wildes und abgedrehtes Zeug. Man kommt viel herum und sieht eine Menge, wenn man Brandon Bond heißt.
Nach dem Höhepunkt seiner Karriere befragt, zögert er kurz, bevor er antwortet: „Das erste Mal, als ich einen Kunden ablehnte.“ Er sagt, er habe viele Jahre soviel Mist ertragen müssen und härter gearbeitet als jeder andere, war immer der erste, der ins Studio kam, und der letzte, der ging, ein Workaholic im wahrsten Sinne, und eines Tages war sein Terminkalender so voll, daß er nicht mehr alles und jeden zu jeder Zeit tätowieren mußte. „Heute steche ich nur noch, was ich will, und ich fange auch nicht mehr viele neue Projekte an. Ich arbeite zwar, aber jetzt genieße ich erstmal die Früchte meiner harten Arbeit.“ Und das finden auch wir voll in Ordnung.
Die Chance ergreifend, sich ein letztes Mal zu promoten, als er nach einer Botschaft für die Welt da draußen gefragt wird, sagt er: „Kauft mein Buch! Es ist ab Frühjahr über www.allornothingtattoo.com und www.brandonbond.com zu bekommen. Es wird abgedreht und aufregend, voller Kunst, Kurzgeschichten, Photos und Chaos.“
Mit der Verabschiedung reicht er noch viele gute und hilfreiche (und z.T. eher unorthodoxe) Ratschläge nach: „Laßt euch tätowieren. Keine Macht den Drogen. Habt immer ne Waffe bei euch, aber holt sie nicht raus, wenn ihr nicht vorhabt, jemanden kaltzumachen. Stripper sind auch Menschen, gebt ihnen ruhig was. Kauft euch
nen Hund und paßt auf ihn auf. Macht jeden Tag soviel Geld wie nur möglich. Habt jede Menge Sex. Und ihr solltet wissen, daß…“
Wie wir schon sagten: Ihr könntet etwas verpaßt haben, wenn ihr niemals Brandon Bond begegnet seid.