Seefahrer Motive sind die unangefochtenen Klassiker der internationalen Tattoo-Szene. Segelschiffe, Anker, Herzen, Schwalben – allesamt beliebte klassische Seefahrer-Tattoomotive. Im späten Mittelalter wurden sie geboren, von einfachen Seeleuten, die auf leichten Korvetten und schweren Galeonen ihren harten Dienst verrichteten, während ihre Kapitäne, wie Kolumbus, Vespucci und Magellan zu neuen Ufern aufbrachen, neue Welten entdeckten. Aber was bedeuteten die Motive der alten Seebären? Waren sie bloß Körperschmuck, ein Souvenir aus fernen Ländern? Oder gab es da vielleicht noch ein wenig mehr?
Zunächst sei gesagt, daß die sogenannte Seefahrer-Romantik, wie wir sie uns vorstellen und wie wir sie in alten Errol Flynn-Filmen gesehen haben, nie wirklich existiert hat. Das Leben eines Seemanns war stets schwer und äußerst hart. Zu Tausenden verloren Schiffsmannschaften auf den alten Segelschiffen ihr Leben, um die Gier ihrer Auftraggeber nach Land, Waren und vor allem Gold zu stillen. Entbehrung, Heimweh und der Tod waren der Seeleute ständiger Begleiter. Hieraus entwickelten sich die vier bedeutungsvollsten Tätowierungen der Mannschaften: Glaube, Liebe, Hoffnung, Grab. Wenn ein Seegelschiff, war es auch noch so groß, den unbändigen Naturgewalten ausgesetzt war, wurde es nicht selten zum hilflosen Spielball zwischen Wind und Wellen. Dann gab es für einen Seemann oft nur noch die Hoffnung, daß ihm ein Kamerad an Deck und ein Gott ihm Himmel zur Seite steht. Diesen festen Glauben daran symbolisierte ein tätowiertes Kreuz.
Die Schiffsbesatzungen der alten Seegelschiffe waren meistens monatelang, oftmals sogar für Jahre von ihren Familien und Freunden getrennt. Ein tätowiertes Herz erinnerte sie an ihr Zuhause und an die Liebste, die ihm Heimathafen auf ihre Rückkehr wartete. Das Herz-Motiv steht sowohl für die Liebe als auch für das Heimweh zur vermißten Heimat.
Die Hoffnung auf eine gute Fahrt, eine erfolgreiche Mission und vor allem auf eine glückliche und wohlbehaltene Wiederkehr. Hierfür steht die Tätowierung des Ankers. In den ersten Expeditionen der damaligen Seemächte Spanien, England und Portugal wurden die Kapitäne und Auftraggeber mit unglaublichen Reichtümern und Ruhm belohnt. Alle darauffolgenden Entdeckungsfahrten waren noch gefährlicher, dauerten noch länger als die vorherige und glichen in ihrer Hoffnung auf eine gesunde Heimkehr nicht selten einem Lotteriespiel. Den Gewinnern blieb das nackte Überleben, den Verlieren nur ein nasses Grab. Dieses Seemannsgrab ist ebenfalls in unterschiedlichsten Variationen auf der Haut getragen worden. Dem Glauben der alten Seebären nach bringt ein tätowiertes Grab dem Träger Glück. Dieses Tattoo sollte den Seemann vor dem Schicksal des Untergangs, beziehungsweise des Ertrinkens, bewahren. Oft wurde das Grab noch mit den Worten »Die letzte Reise«, oder »Reise ohne Wiederkehr« verziert.
Den vier klassischen Seefahrer-Motiven folgten ein wenig später noch viele andere Tätowierungen, die für ihre Besitzer aber nicht minder bedeutungsvoll waren. So trugen viele Seeleute ein Totenkopf-Tattoo, was nicht etwa auf eine piratenartige Gesinnung hinwies, sondern vielmehr die Ängste vor einer unsicheren und gefährlichen Zunkunft ausdrücken sollte. Auf ihren Entdeckungsreisen erwarteten die Bezwingern der Weltmeere oft unbekannte Gefahren, und fremde Kulturen erwiesen sich oft als neue Feinde. So wie die neuseeländischen Maori zum Beispiel: Historisch betrachtet wurden immer schon einige Fakten romantisiert oder gänzlich außer acht gelassen. So hält sich die Ansicht, daß Kapitän James Cook der Entdecker Neuseelands war, hartnäckig in den Köpfen vieler Europäer. Tatsächlich aber war es der Niederländer Abel Tasman. Er landete im Dezember 1642 im Norden der Südinsel in der heutigen Golden Bay. Dort wurde er von den Maori angegriffen und einige seiner Seeleute nieder gemetzelt, worauf Tasman in Panik die Flucht ergriff.James Cook erreichte erst 1769 Neuseeland und seine Einwohner. Cook war es dann aber, der zusammen mit seinen Mannen den ersten richtigen Kontakt zu den Maori und ihren traditionellen Tribals hatte. Die Kunde dieser neuen Hautkunst verbreitete sich schnell in den Hafentavernen der unterschiedlichsten Länder. Und während die einen Seeleute sich zunächst nur mit kleinen Tribals von den Eingeborenen verzieren ließen, lernten andere dieses Handwerk selbst und begannen damit, eine große Motiv-Vielfalt zu entwickeln. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren bereits 95 Prozent aller Seefahrer tätowiert. Auf dieser neuen Trendwelle schwammen aber nicht nur Angehörige der Seefahrt mit. So fällt zum Beispiel der Literaturklassiker Moby Dick (1851) von Herman Melville mit der tätowierten Romanfigur Queequeg (Bild: 02) genau in diese Epoche. Melville hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach von Seefahrern und deren damals modernen und exotischen Tätowierungen inspirieren lassen.
Die Seefahrer trugen noch viele weitere Motive, darunter folgende: Das große Segelschiff stand einerseits für das Gefährt, mit dem man über die Meere fuhr, andererseits für die ganz persönliche Lebensfahrt, denn das Leben ist stets wie eine stürmische See, durch die ein Lebens-Schiff sicher in den Hafen geführt werden muß. Das kleine Segelschiff wurde tätowiert, nachdem ein Matrose Kap Horn umschiffte. Ein Engel (Bild: 09) verhieß den Seeleuten tröstende Hoffnung. Die Schlange war Sinnbild der prickelnden Sünde und der Versuchung. Ein kleiner tätowierter Drache zeigte, daß der Träger bis nach China gelangt war, wogegen ein goldener Drache gestochen wurde, nachdem ein Matrose die Datumsgrenze überquerte. Die tätowierte Sonne pries das Leben. Eine kleine Schildkröte dokumentierte, daß ein Seemann den Äquator passiert hatte. Eines der am häufigsten gestochenen Tattoo-Motive des 19. Jahrhunderts war das Pin-Up– Mädchen. Oft fanden leicht bekleidete und aufreizende Mädchen als Tätowierung einen Platz auf der Brust oder z.B. der Wade eines Seefahrers. Die Rose symbolisierte ein Leben voller Dornen, ein Leben, wie es die Schiffsbesatzungen tagein, tagaus führen mußten. Der tätowierte Vogel war für viele ein gutes Omen, denn Vögel kündigten den Matrosen an, wenn sich ihr Schiff dem Land näherte.
Das Leben der alten Seeleute mag vielleicht nicht so romantisch gewesen sein, wie wir es uns am liebsten vorstellen möchten oder in Erinnerung haben, doch gerade diese harten Matrosen haben uns ein kostbares Geschenk bereitet – einen Großteil der Tattoo-Motive, wie wir sie heute kennen und lieben.