Wie einige vielleicht wissen, betreibe ich zusammen mit ein paar Freunden noch die Internetseite www.tattooscout.de. Nun beobachtete ich schon eine ganze Weile, wie eines unserer Mitglieder, ein gewisser “tattoogermane“, immer wieder Arbeiten von sich in unser Forum stellte und zur Diskussion freigab. Dabei gefielen uns die Arbeiten so gut, daß es an der Zeit war, Heiko, wie unser “tattoogermane“ richtig heißt, einen Besuch abzustatten. Also brach ich an einem Samstag nach Hohenwarsleben bei Magdeburg auf, wo sich sein Studio “Eastside Tattoo“ befindet. Von dem, was mich dort erwarten würde, hatte ich bereits ganz bestimmte Vorstellungen. Durch seine Arbeiten und seine fachlichen Beiträge im Forum war ich mir sicher, auf einen alten Hasen zu stoßen, der schon ewig und drei Tage im Geschäft ist. Umso überraschter war ich, als er mir erzählte, daß er genaugenommen gerade mal seit 2000 professionell tätowiert. Was ich sonst noch so alles in Erfahrung bringen konnte, erfahrt ihr in den nächsten kleinen Kapitelchen. Viel Spaß beim Lesen.
Hör mal, wer da hämmert
Seine ersten, nicht ganz so ernstzunehmenden Gehversuche unternahm Heiko bereits Anfang der Achtziger. Damals war in der ehemaligen DDR kaum daran zu denken, an eine richtige Tätowiermaschine zu gelangen, also mußte etwas anderes her. Dabei entpuppte sich Heiko als wahrer Tüftler: Anstatt zur berühmten Nähnadel zu greifen, stellte er seine Nadeln aus dünnen Bohrern selber her. Dazu wurden die Bohrer solange geschliffen, bis nur noch eine lange, dünne Nadel übrigblieb. Der Vorteil war, daß die Bohrer aus gehärtetem Stahl bestanden und die Nadeln dementsprechend nicht so schnell stumpf werden konnten.
Heiko und Lemmy
Auch wenn das Equipment nicht gerade das Beste war, so konnte sich sein erstes Portrait (Lemmy von Motörhead), das er sich selbst auf den Oberarm tätowierte, bereits durchaus sehen lassen. Wir haben es hier nur deswegen nicht abgebildet, damit keiner auf die Idee kommt, es könne sich um eine neuere Arbeit handeln. Das Lustige an der Geschichte ist, daß sich Heiko und Lemmy 1999, also rund 15 Jahre später, nach einem Konzert im Backstage-Bereich trafen, Lemmy sich sofort erkannte und das Werk prompt signierte.
Phönix aus der Asche
1999 war auch das Jahr, in dem es für Heiko erst richtig losgehen sollte, denn kurze Zeit, nachdem er mit dem Tätowieren angefangen hatte, hörte er auch schon wieder damit auf. Nun aber hatte ein Freund von ihm ein eigenes Studio in Magdeburg und ließ sich von Heiko ein Jahr lang bei der Arbeit zusehen. Ein weiteres Jahr arbeitete er noch in diesem Studio, bis er 2001 schließlich “Eastside Tattoo“ eröffnete.
Studio auf, Kühlschrank leer
Das Risiko, daß er dabei einging, war nicht gerade ohne. Der Umbau des Ladenlokals und die Anschaffung der Gerätschaften (wobei er besonders bei der Hygiene keine Kompromisse in Kauf nehmen wollte) verschlangen seine gesamten Ersparnisse von rund 40.000 DM, der Wagen war auch schon verpfändet, und… „Als wir mit allem fertig waren und Eröffnung feiern konnten, besaßen wir noch stolze 12,80 DM an Barvermögen. Da hab’ ich zu meiner Frau gesagt, daß wir den Laden nächste Woche gleich wieder schließen können, falls nicht sofort Kunden kommen – und das wäre es dann gewesen.“ Aber so kam es eben nicht. Das Studio war gleich auf Anhieb rappelvoll, und bereits nach der ersten Woche hatte Heiko einen vollen Monat Vorlauf.
Heikos Style
Black and Gray-Arbeiten in allen nur möglichen Variationen sind Heikos Steckenpferd. Ob Realistic (insbesondere Portraits), Biomechanik oder auch ein wenig düster á la Paul Booth, hier ist sein Zuhause, und das sieht man seinen Werken auch an. Ca. 80 – 90 Prozent seiner Arbeiten entstehen dabei Freihand. „Normalerweise ist es so, daß ich kurz überlege und dann sofort anfange, vorzuzeichnen.“ Bei meinem Besuch hatte ich die Gelegenheit, ihn mal live in Aktion zu erleben. Es ist schon bewundernswert, was er da mal “so eben“ aus dem Handgelenk zaubert. Ausnahmen macht er allerdings bei Portraits. „Portraits tätowiere ich nie Freihand. Ich habe mit Till aus Honduras auch bisher nur einen Tätowierer gesehen, der das wirklich perfekt beherrscht. Aber schließlich kommt es aufs Ergebnis an und nicht darauf, wie man dahingekommen ist.“ Auf Black and Gray beschränken kann man Heiko aber keinesfalls. Seine farbigen Arbeiten sind nicht weniger beeindruckend, kommen nur nicht ganz so häufig vor. Einzig und allein Blackworks sind es, denen Heiko rein gar nichts abgewinnen kann. Dabei ist es auch unerheblich, ob es sich nur um modische Tribals handelt oder um solche mit traditionellem Hintergrund wie beim Maori-Stil. Aber man muß ja auch nicht alles mögen.
Die „böse“ Tätowierung
Okay, böse Tätowierungen gibt es natürlich keine. Aber Heiko hat seinem Piercer mal eine auf den inneren Oberarm gestochen, die schon für ein wenig Aufsehen sorgte: Die Abbildung zeigt einen singenden Skinhead und darunter den Schriftzug „War Zone“. Jetzt heißt besagter Piercer auch noch Arian, und damit ist die Schublade natürlich endgültig zu.
Blöd nur, daß es sich um die falsche Schublade handelt: Der Sänger ist der 1997 verstorbene Frontmann der New Yorker Hardcoreband „War Zone“, ehemaliger Schlagzeuger der Punkband „Agnostic Front“ und alles andere als rechts orientiert. Eigentlich hat Politik hier nun wirklich überhaupt nichts verloren, aber ich wollte das auch nur anmerken, weil man hier mal sehr schön sehen kann, wie schnell Irrtümer und Vorurteile entstehen können, vollkommen egal, in welche abgedrehte Richtung.
Und wat kommt nü?
Tja, eigentlich bleibt mir nur noch übrig, mich bei Heiko und den Anderen für den netten Tag zu bedanken. Alles hat gepaßt, und es wundert mich absolut nicht, daß “Eastside Tattoo“ so erfolgreich ist. Denn genauso ansprechend wie Heikos hervorragende Arbeiten ist auch die Atmosphäre im Studio. Hab’ ich eigentlich schon erwähnt, daß er ein absoluter Familienmensch ist? Deshalb mußte auch unbedingt die ganze Familie mit aufs Gruppenfoto: Seine Frau Christiane, Sohn Vito, Tochter Lotte und nicht zuletzt Blayney (der kleine Hund im Vordergrund, gerade mal 9 Monate alt). Das Studio ist übrigens gerade umgezogen und befindet sich jetzt ca.100m vom alten Standort entfernt. In Zukunft wird es mit Peter auch noch einen zweiten Tätowierer geben, denn mittlerweile beträgt der Vorlauf weit mehr als nur einen Monat. Aber es lohnt sich ja schließlich auch. Und vielleicht hat man ja Glück und rutscht irgendwie schon früher dazwischen. «