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STUDIO-PORTRAIT

Tattooartist Victor Policheri

Tattoo-Künstler Victor stammt aus dem schönen Seattle, arbeitet aber inzwischen „On the Road“ Zwischen einem Satelliten-Foto und einem Tätowierer wie Victor Policheri gibt es einige Parallelen. Betrachtet man zum Beispiel nur ein einziges Haus oder Tattoo, erschließt sich lediglich ein eingeschränktes Abbild, man erkennt nur einen kleinen Teil des Ganzen. Verändert man nun seinen (künstlerischen) Blickwinkel und sieht die Arbeiten eines Tätowierers, so wie der Satellit das Haus, aus größerer Entfernung, ergeben sich völlig neue Ansichten. Interessant ist auch die Umkehrung: Betrachtet man Tattoo-Arbeiten mit einem großen Abstand, so wie der Satellit eine Stadt, und benutzt dann die (künstlerische) Zoom-Funktion, entdeckt man immer neue, vielfältigere Details.

Victor Policheri, Tätowierer im weltbekannten Studio Apocalypse Tattoo in ­Seattle, gewährte uns so einen detailreichen Einblick in seine Arbeiten anhand eines Interviews. Während man die meisten Tätowerer einer gewissen Stilrichtung zuordnen kann (und sei es, daß man im Einzelfall von einem Allround-Tätowierer spricht), so will Victor in keine dieser Stil-Schub­laden richtig passen. Traditionelle Rahmen treffen auf pastellfarbene Realistics, und altertümliche Ornamente strahlen in farbenprächtigen Effekten – außergewöhnliche Tätowierungen von einem außergewöhnlichen Menschen. Auch wenn Victor an seiner Heimatstadt ‘Cape’ Seattle festhält, so hat er dennoch längst begonnen, wie ein Satellit die Welt zu umrunden, sie zu bereisen und die große Tattoo-Szene mit seinem ganz eigenen Tattoo-Stil zu beeindrucken. Dieser Stil des Victor Policheri, eines Mannes, der ständig auf der Suche nach neuer Inspiration ist, kann wohl am ehesten beschrieben werden als: Tattoo-Kunst.

TS: Erzähle uns doch bitte, wie du zum Tätowieren gekommen bist.
Victor: Ich brachte es mir selbst bei. Ich war schon mein ganzes Leben lang Künstler, und nach einer enttäuschenden Erfahrung auf dem College kaufte ich mir Tätowierwerkzeug und fing einfach damit an, ohne zu ahnen, daß es meine Leidenschaft und mein Beruf werden würde.
TS: Welche Tattookünstler haben dich am meisten beeinflußt?
Victor: Schwer zu sagen, ganz sicher Guy Aitchison, aber je mehr äußerst talentierte Künstler auftauchen, umso stärker lasse ich mich von allen möglichen Stilen und Künstlern der ganzen Welt beeinflussen. Robert Hernandez hat mich umgehauen und die Meßlatte für Qualitätsarbeit wie kaum ein anderer höhergelegt. Am meisten stechen für mich jene Künstler hervor, die etwas Neues versuchen, deren Arbeiten anders aussehen als die aller anderen.

TS: In europäischen Tattoostudios findet man meist nur ein oder zwei Künstler. Wie ist es, in einem Studio wie Apocalypse Tattoo zu arbeiten? Lernt dort jeder vom anderen, oder anders gefragt: Glaubst du, es sei der beste Weg oder zumindest sehr wichtig, in einem Studio mit vielen Künstlern zu arbeiten?
Victor: Ich habe immer nur in Studios mit vielen Künstlern gearbeitet. Ich mag das. Es erlaubt einen größeren Erfahrungs- und Ideenaustausch. Bei Apocalypse macht jeder sein eigenes Ding, dennoch tauschen wir Ideen und Techniken aus. Ich arbeite gerne mit einem größeren Pool an Einflüssen und Ideen. So lernt man, denke ich, am besten.
TS: In Deutschland spricht man üblicherweise eher von Tattoo-Künstlern statt von Tätowierern. Auch in deinem Fall scheinen deine Tattoos mehr mit echten Kunstwerken gemein zu haben als mit den etwas üblicheren Stilen wie Old School oder Realistics. Ist dies deine Art, jedes deiner Tattoos so einzigartig wie möglich zu machen und/oder glaubst du einfach, Tattoos sollten mehr sein als schlichte Farbe unter der Haut?
Victor: Ich versuche immer, meine Arbeiten einzigartig zu machen. Es gibt durchaus Old School-Tattoos, die ich mag, aber es ist nicht mein Stil. Ich versuche es so anzugehen, daß das Tattoo zur Person, die es tragen soll, paßt. Für mich ist ‘Tätowierer’ und ‘Tattoo-Künstler’ dasselbe. Viele betrachten unser Gewerbe nicht als künstlerisch, aber das interessiert mich nicht. Es gibt bei allen Kunstformen die Produktiven, die Nachahmer, die Innovativen… man kann Kunst auf viele Arten angehen. Sie alle sind Künstler; ich hoffe, ich gehöre zu den Innovativen. Wenn mich die Muse küßt, lege ich los, dann interessiert mich die Meinung anderer nicht. Ich lebe meinen Schaffensgeist aus, und alle vereinten Kritiker, Laffen und Arschlöcher der Welt könnten das nicht ändern!

TS: Müßtest du deinen Stil mit einem einzigen Wort beschreiben, welches wäre dies?
Victor: Ich hoffe, es gibt kein einzelnes Wort, das meinen Stil beschreibt; höchstens ‘einfallsreich’ oder sowas. Würde ich glauben, daß ein Wort genügt, um meinen Stil zu beschreiben, würde ich ihn schon alleine deswegen ändern!
TS: Bei vielen deiner Tattoos gehst du neue Wege, was die Vermengung von Stilen angeht, wie z.B. bei dem Backpiece mit dem Wal und dem eher traditionellen Rahmen darum. Was beabsichtigst du mit dem Verbinden solcher Stile?
Victor: Zum einen will ich damit etwas Neues und Schönes schaffen, zum anderen hoffe ich, meinen Kunden damit zu beeindrucken. Was anderes beabsichtige ich mit dem Stil-Mix nicht. Das sind einfach nur Optionen. Jeder Stil ist eine Möglichkeit und bietet eine eigene Herangehensweise. Ich bin keinem bestimmten Stil treu. Wenn ich denke, daß zwei oder drei Stile gebraucht werden, um einen gewünschten Effekt zu erreichen, dann verwende ich sie eben.
TS: Du arbeitest bei vielen deiner Tattoos mit sehr sanften Farbübergängen, wie z.B. beim Wüsten-Armsleeve. Bei anderen, z.B. beim Tattoo mit dem Kampfhahn, bevorzugst du klare Linien und scharfe Außenkanten. Wie entscheidest du, welcher Stil für ein Tattoo angebrachter ist als ein anderer?
Victor: Das hängt einfach vom Tattoo ab. Außerdem beeinflußt mich immer das, was ich gerade Interessantes oder Beeindruckendes gesehen habe… wenn ich also gerade aus Europa zurückkomme und Shige (Yellow Blaze) oder Hernandez haben mich umgehauen, dann macht sich dieser Einfluß in meinen folgenden Arbeiten bemerkbar. Manchmal passen knallig bunte Farben zum Tattoo oder zum Kunden, manchmal will ich, daß es wie Wasserfarbe aussieht. Gewöhnlich hat der Kunde irgendwelche Vorlieben… falls nicht, tätowiere ich nach Gefühl.

TS: War die 15.Tattoo Convention Berlin dein erster Besuch in Deutschland? Welchen Eindruck hattest du vom Land, den Leuten und der Convention?
Victor: Die Berliner Convention war meine erste Reise nach Deutschland. Ich hatte viel Spaß und würde gerne wiederkommen. Ich fand, daß Deutschland recht multikulturell ist – ich glaube, die Gegend, wo ich wohnte, war ziemlich türkisch – und es war toll, diese riesigen Kathedralen zu sehen; diese ganzen Gebäude, die älter sind als das Land, aus dem ich komme, mit all ihrer erfüllten Vergangenheit… ich liebte das! Und alle Städte sollten Bahnen oder U-Bahnen haben. Seattle hat keine, und dort von einem Ort zum anderen zu kommen, kann recht widerwärtig und vor allem kostspielig sein. Ich spreche kein Deutsch, aber der Zug war einfach zu benutzen und sehr preiswert. Die Convention selbst war cool, und die Veranstalter sehr hilfsbereit… aber ich glaube, beim nächsten Mal komme ich lieber im Sommer. Es war ganz schön kalt bei euch! Aber ich habe ein paar Abende mit Rumlaufen und Feiern verbracht und hatte wirklich mächtig viel Spaß. Da gab’s diese unglaublich riesigen besetzten Häuser und ein paar sehr coole Typen!
TS: Reist du viel in den Staaten herum und besuchst ferne Länder, oder ziehst du es vor, im Studio zu arbeiten?
Victor: Ich reise schon ein bißchen, aber ich brauche auch die Zeit im Shop. Die Erfahrung, in anderen Ländern zu arbeiten, ist für mich eher etwas Neues, obwohl ich es toll finde! Ich denke darüber nach und versuche, einen längeren Trip und längerfristige Gasttätowier-Stellen zu organisieren, womöglich in Spanien. Wenn es dazu kommt, wird man mich wohl häufiger auf europäischen Cons zu sehen bekommen! Die Arbeit im Studio ermöglicht mir die Art von Projekten, die ich am meisten mag. Ich bin nicht besonders schnell. Meine großen Arbeiten erfordern viel Engagement und gehen nicht schnell genug voran, als daß ich sowas auf irgendwelchen Reisen machen könnte; für sowas brauche ich ein solides Basecamp.

TS: Zur Zeit bist du in Südostasien. Was machst du dort? Bist du auf Urlaubsreise oder hat es was mit Tattoos zu tun?
Victor: Südostasien ist einfach unglaublich! Ich bin hier auf Urlaub. Ich habe meine Gitarre mitgebracht und mir die Zeit genommen, wieder ein bißchen zu spielen und zu schreiben. Ich spiele seit zwanzig Jahren, aber in den letzten fünf bin ich nicht zum Spielen oder Schreiben gekommen. Das ist eine meiner großen Leidenschaften, und etwas Freizeit damit zu verbringen, ist einfach klasse. Ich jongliere auch gerne mit Fackeln, und hier hatte ich viel Zeit und Gelegenheit, es mal wieder zu üben.
Diese Reise dauert insgesamt zwei Monate, und ab Ende März werde ich wieder im Laden sein. Abgesehen von den Freizeitmöglichkeiten liebe ich es einfach, zu reisen. Ich will die große, weite Welt sehen. Ich habe Vulkane auf Java gesehen, lernte auf Bali das Surfen, war in Krabi (Thailand) Rockclimbing, und nächste Woche mache ich in Ko Tao meinen Schein für das Tauchen auf dem offenen Meer. Und alles das beeinflußt meine Tätowierungen. Die Kunstwerke hier sind einzigartig und unglaublich; der Dschungel, das Leben im Meer, all das ist wahnsinnig vielseitig und irgendwie unbegreiflich. All dies wird sich nach meiner Rückkehr in meinen Arbeiten widerspiegeln. Ich liebe es einfach, meine Einflüsse zu erweitern!

TS: Wo du gerade in Asien bist: Wie wichtig ist deiner Ansicht nach der asiatische Tattoo-Stil für die gesamte professionelle Szene? In Deutschland sagen manche, der asiatische Stil sei einfach nur eine Modeerscheinung, die gerade In ist und demnächst schon wieder Out sein könnte. Was denkst du darüber?
Victor: Schwer zu sagen, wie wichtig der Stil für die ‘Szene’ ist. Ich versuche, solche Dinge gar nicht zu beachten. Zu sagen, wie wichtig asiatische Tattoos sind, ist unmöglich. Dieser Stil hat das Gewerbe genauso beeinflußt wie andere auch; er konzentriert sich auf starke Linien, die den Konturen des Körpers folgen. Das ist kulturübergreifend und beeinflußt jeden, der an Tattoos und am Tätowieren selbst interessiert ist. Der asiatische Stil ist genausowenig in Gefahr auszusterben wie das Tätowieren an sich, was ja manche Leute prophezeihen. Kunst auf der Haut ist älter, als wir jemals erfahren werden. Sie hat etwas uraltes und zugleich hochmodernes an sich. Manche Leute haben sich sicher tätowieren lassen, weil es modisch war, aber Tattoos werden auch in Zukunft menschliche Haut zieren, so wie sie es immer getan haben!

Wir bedanken uns bei Victor für dieses Interview und hoffen, ihn in Zukunft noch öfter in Deutschland begrüßen zu dürfen. Um mit Victors Worten zu schließen: We hope to see him on the circuit.

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